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Mittwoch, 25. September 2019

Alt aber Zuverlässig.


Die Vorzüge von LowTech am und im Zug und allgemein

Am Bahnsteig muss ich manchmal schmunzeln. Oft beschwert man sich, dass die Zeit zu schnell vergeht. Also, damit meine ich nicht die Zeit, die man am Bahnsteig steht und auf verspätete ICE wartet; die vergeht ätzend langsam und man kommt auf so seltsame Ideen, wie ein Bahnblog zu schreiben. Ich meine vielmehr die Jahre und damit verbundenen Moden und technischen Entwicklungen. 

Apropos. Falls jemand mal eine Reise in die Vergangenheit machen möchte, kann ich den Hauptbahnhof Ludwigshafen empfehlen. Sobald man durch die Eingangstüre tritt fühlt man sich wieder wie in den Achtzigern – zumindest scheint in diesem Bahnhof seither nichts mehr passiert zu sein. Bitte nicht falsch verstehen – ich mag Ludwigshafen. Zum einen sind die Hotels etwas günstiger als im benachbarten Mannheim und zum anderen erinnert es mich an das Wolfsburg meiner Kindheit in eben dieser Dekade. Ich meine das Wolfsburg vor Autostadt, Phaeno etc. Wer hier richtig tief in Erinnerungen schwelgen möchte, sollte neben dem Bahnhof auch das Rathauscenter in Ludwigshafen besuchen. Bei beiden Dingen ist aber Eile geboten - die Stadt will Rathauscenter als auch Bahnhof ab 2021 abreißen und modernisieren.

Im Eingangsbereichs des Ludwigshafener Hauptbahnhofes findet sich noch eine Modelleisenbahnanlage, die seit der Umrüstung von D-Mark auf Euro keine Modernisierung oder Reinigung mehr erfahren zu haben scheint. Zumindest sieht man viele umgestürzte Bäume, kaputte Signale und Züge, die nicht weiterfahren können. Nun gut, vor diesem Hintergrund könnte das auch ein top aktuelle Modellandschaft sein; wenn da nicht der viele Staub wäre.

Am Gleise angekommen wird das Bild gleich vervollständigt. Eine 30 oder 40 Jahre alte Diesellok fährt ein, hinter sich allerdings modernere Waggons. Die scheinen nicht so fehleranfällig zu sein, wie die neuen Triebwagen mit Betriebssystem. 

Ich steige trotzdem ein und finde meinen Sitzplatz. Mein Sitznachbar nickt kurz und ist dann wieder mit dem Aufbau seiner Technik beschäftigt: iPhone, iPad sowie eine Smartwatch kann ich erkennen. Als er meine Uhr, eine Casio F-91W sieht – ja, die kann man noch kaufen – wird er doch neugierig und fragt, was die denn alles könne. Ich antworte: „Sie zeigt die Uhrzeit.“ Etwas irritiert schaut er zurück und fragt, was sie denn noch alles drauf habe. Nach einigem Überlegen meine ich: „Sie hat `nen eingebauten Wecker und ich glaube, auch eine Beleuchtung. Zudem kann man die Armbänder nachkaufen, wenn sie gerissen sind“. Ungläubig wendet er sich ab und wird bald sehr nervös. Es ist nämlich seine erste Fahrt mit dem IC und er wusste nicht, dass dieser an den Zweierplätzen keine Steckdose hat und es im ganzen Zug kein WLan gibt. Frustriert baut er die Hälfte seines Equipments ab, da es ohne WLan und kontinuierliche Stromzufuhr nicht zu funktionieren scheint. Ein wenig schadenfroh biete ich an, dass er auf meine Uhr schauen kann, wenn er die Uhrzeit wissen möchte. Die Batterie hält erfahrungsgemäß etwa zwei Jahre.

Manchmal macht es vielleicht doch Sinn, nicht alles sofort zu verschrotten. Vielleicht haben die Uralt-Triebwagen bei der Bahn ja System, weil sie vielleicht weniger fehleranfällig sind und man nur so noch einigermaßen pünktlich ist. Ich überlege, der Bahn im Rahmen ihrer Pünktlichkeitsoffensive die Nutzung von Dampflokomotiven zu empfehlen. Immerhin erreichte am 11. Mai 1936 die Schnellzuglokomotive 05 002 auf der Strecke von Berlin nach Hamburg 200,4 km/h. Aber das dürfte vor dem Hintergrund der angestrebten CO2-Neutralität wohl nicht zu realisieren sein.
Zumindest schätze ich meine zuverlässige alte Casio-Uhr etwas mehr und überlege, das Modell mit dem eingebauten Taschenrechner zu kaufen. Das war zu Schulzeiten während der Mathematikstunden ein großer Traum.

Außerdem liege ich damit wieder voll im Trend. Während die oftmals selbsternannten Zeit- und Optimierungsberater ihren Opfern in den 90ern geraten haben, ihre Uhren abzulegen, um nicht mehr so gestresst zu sein, raten Sie heute wieder dazu, Uhren zu tragen. Das soll dabei helfen, bei jedem Blick auf die Zeitanzeige des Smartphones nicht auch gleich zwanghaft als WhatsApps, Tweeds und Mails zu checken.

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