Dealen in der Bahn und den Gemeinsamkeiten von Bahnreisen und Kaffeefahrten
Wer viel Muße und genügend Zeitungen hat, liest auch mal den einen
oder anderen Beitrag, den man sonst überblättert hätte. Oder anders: in der
Bahn schafft man es beim Warten auf Weiterfahrt tatsächlich, alle kostenlos
ausliegenden Zeitungen intensiv zu studieren. Sogar die Süddeutsche habe ich
schon durch und überlege, ob ich mir „DIE WELT“ wirklich noch antun sollte.
Einen
Beitrag über Drogenprobleme an Schulen, konnte ich nicht ganz zu Ende
studieren, da eine freundliche DB-Mitarbeiterin mir ein Tablett mit
Minigummibärchen unter die Nase bzw. über die Zeitung hält. Schmecken ja ganz
gut.
So nun wieder zu den Drogenproblemen des Zeitungsartikels. Lehrer beklagen sich darüber, dass Dealer doch tatsächlich auf dem Schulhof Gratisproben an Schüler verteilen, um diese anzufixen. Ich frage mich, wie es um unsere Schüler bestellt ist, wenn man so naiv ist, um drauf hereinzufallen und nehme gerne noch das Stück Schokolade, das mir eine andere Zugbegleiterin wortlos reicht.
Immerhin steht „Lieblingsgast“ drauf. Heute scheint man mit diesen Gaben sehr
großzügig zu sein und uns reisende durch Zuckerzufuhr gnädig stimmen zu wollen,
denn es hagelt eine Verspätungsdurchsage nach der nächsten durch die Lautsprecher.
Es ist sogar anzunehmen, dass diese Vorgehensweise erfolgreich ist. An einer
der Hochschulen, für die ich tätig war, hatte man herausgefunden, dass die Seminarbewertungen
der Teilnehmenden um 10 Prozentpunkte schlechter waren, wenn es während der
Veranstaltung keinen Gratiskaffee und Gratiskekse gab. Einige Dozenten haben
dann nach deren Abschaffung eigenständig für Kaffee und Kekse gesorgt. Das ist
natürlich etwas einfacher, als die Arbeit an der eignen Lehrqualität… Muss
hierzu unbedingt mal die Psychologieprofessoren befragen. Das wäre natürlich auch eine Idee für die Bahn - ab 20 Minuten Verspätung bekommt man eine
Zuckertüte und ab Verspätungen von einer Stunde kann man sich einen Sirup-Infusionsschlauch
aus der Armlehne ziehen…
Beim Kauen des Bonbons, dem mir die Gummibärchenfrau nunmehr
kredenzt, werde ich nachdenklich. Ist doch ganz schön viel Zucker, den man auf
so einer Bahnfahrt konsumiert. Vielleicht müssen die Sitze in der ersten Klasse
deswegen breiter sein, weil Vielfahrer entsprechend angefüttert werden.
Hier bin ich mir nicht sicher, ob ich den Begriff des
Anfütterns richtig verwendet habe und mache mich an die Internetrecherche. Das
ist technisch jetzt gerade möglich, da wir den Raum Kassel und sein Funkloch bereits hinter uns gelassen
haben. Doch, der Begriff passt sinngemäß, wie ich in einem Beitrag der Landwirtschaftskammer mit dem
Titel „Rückenspeck bei Jungsauen anfüttern!“ lesen kann.
Da mein Zielbahnhof bald erreicht sein könnte, will ich doch
noch etwas Produktives machen und beginne eine Einkaufsliste für den
Nachhauseweg: Gummibärchen, Rittersportschokolade, Zitronenbonbons…
Halt!!! Ich muss mich im Geiste bei den Schülern
entschuldigen. Wenn ich da bei Süßigkeiten schon nicht durchschaue…
Andererseits ist diese Vorgehensweise ja auch ein prima
Marketingkanal. Wer frustriert ist, futtert gerne süße Sachen – das muss ich
nicht recherchieren! Das ist ausbaufähig und man könnte auf Bahnseiten überlegen, auf was eine
frustrierte und genervte Zielgruppe, die für unabsehbar lange Zeit nicht vom
Fleck weg kommt, noch anspringen könnte. Die Abgabe von Psychopharmakaproben
verbietet bestimmt das Arzneimittelgesetz. Aber Auszüge aus Ratgebern zu Depressionen
oder Psychosen könnten beim einen oder anderen Bahnfahrenden Zuspruch finden. Auch
Alkoholminiaturen wären ein Mittel, die Wartezeit vor belegten Bahnhofgleisen
verschönern. Selbst Haushaltsgeräte könnte man präsentieren, wobei man besser
alles, was scharf und spitz ist, lieber weg lassen sollte.
Damit hätte Bahnfahren allerdings noch mehr Gemeinsamkeiten
mit Kaffeefahrten: die Angaben in den Infobroschüren stimmen zumeist nicht, man
weiß nicht, wo man schlussendlich hingebracht wird und wie lange es dauert und das Personal
reagiert ungehalten auf Rückfragen oder Reklamationen…