Nur raus aus Stuttgart - chaotisches Krisenmanagement bei der Bahn
Nachdem im Januar zwei Fernfahrten fast reibungslos verlaufen sind, hatte
ich gehofft, diesen Blog einstellen zu können, da ich daran ja nur in
Verspätungszeiten schreiben wollte. Mit fast einem Tag Verspätung ist das
allerdings in weite Ferne gerückt.
4.2.2020, 15:00h
Mein Reiseweg von Waiblingen nach Stuttgart ist ambitioniert, da ich nur 10
Minuten Umsteigezeit habe. Mit Bedacht wähle ich den Regionalzug und nicht die
S-Bahn, da ich vom S-Bahnhof eine ziemlich weite Strecke zum Stuttgarter
Ferverkehrs-Bahnhofsgleis zu laufen hätte.
Der Regionalzug fällt aus und ich muss die S-Bahn nehmen. In weniger als 7
Minuten heißt es nun in Stuttgart den Umstieg zu schaffen. Mit Koffer und
Notebooktasche hetze ich los. Weder am S-Bahnhof noch in der Bahnhofshalle gibt
es einen Hinweis, dass etwas nicht in Ordnung ist. Auf den letzten Metern werde
ich durch ein Absperrband gebremst, vor dem bereits viele andere Reisende
warten. Kein Aushang, kein Megafon, kein sprachfähiger DB-Mitarbeitende
informiert uns. Von anderen Reisenden erfahre ich, dass es am Vormittag an einem
der Gleise gebrannt habe und der Bahnhof für den Fernverkehr gesperrt sei. Das
ist verwunderlich - hat die DB - App doch bei meinem Zug keine Probleme
angezeigt. Lediglich ganz am Schluss der Verbindungsübersicht - in Verträgen
würde man vom Kleingedruckten sprechen - steht die Info, dass man mit der S-Bahn
bis Stuttgart Esslingen fahren sollte, da es dort für viele Fernzüge einen
Ersatzhalt gäbe. In dem Moment wird die Absperrung geöffnet. Die Reisenden eilen
zu den Gleisen. Aber hier gibt es noch Absperrungen. Keine Anzeigetafel, kein
Schild, kein Mensch mit Megafon oder gar ein handgeschriebener Zettel informiert
die Reisenden, wie es weitergeht.
Nach 10 Minuten kommt eine
DB-Mitarbeiterin angewatschelt und informiert uns offiziell über den
Ersatzhalt in Esslingen. Sie hat auch einen süffisanten Nachsatz parat: “Sie
können dazu am S-Bahnhof den Zug XY nehmen – der letzte ist vor einer Minute
weg”.
In jedem Fall müsste ich dann zurück zum S-Bahnhof. Hätte man die Info
nicht gleich am S-Bahnhof publik machen können?!
Ich gehe ins überfüllte Reisezentrum. Nach sehr langem Warten teilt mir die
Mitarbeiterin dort mit, dass es unwahrscheinlich sei, dass ich am gleichen Tage
noch Zuhause ankäme. Sie räumt ein, dass eine Verbindung mit 2x Umsteigen
riskant im Hinblick auf die Zuverlässigkeit sei. (Aber was hat das mit dem
heutigen Tag zu tun?).
Also muss ein Hotel gesucht werden. Direkt am Hauptbahnhof scheinen mehrere
Reisende gestrandet zu sein – zumindest gibt es kein Hotelzimmer mehr. Zum Glück
kenne ich mich ein wenig in Stuttgart aus und fahre mit der U-Bahn in ein etwas
abseits gelegenes Hotel.
Meine dreijährige Tochter und meine derzeit kranke Lebensgefährtin, die auf
ein Unterstützung gehofft hatte, informiere ich telefonisch, dass ich einen Tag
später als geplant kommen werde. Ich wähle im Navigator eine Verbindung am nächsten
Morgen.
5.2.2020
Im Hotel schaue ich bereits nachts bereits um 3:00h auf den DB-Navigator.
Meine gewählte Verbindung wird wieder ohne Komplikationen angezeigt. Lediglich im
"Kleingedruckten" ganz unten steht mal wieder, dass der Zug
voraussichtlich von Stuttgart aus abfährt. Da "voraussichtlich” eine sehr
vage Festlegung ist und folglich auch Esslingen als Abfahrtsort in Frage kommt,
fahre ich bereits 2 Stunden vor der geplanten Abfahrt zum Bahnhof. Die
elektronischen Anzeigen haben wieder Strom und teilen mit, man solle die
gedruckten Aushangfahrpläne beachten. Es hängen aber nur die regulären Fahrpläne
aus, die wenig über das aktuelle Chaos aussagen. Also auf zur DB-Info, vor der
eine lange Schlange steht.
Die Leute kommen alle ziemlich verärgert raus. Die
Ursache ist schnell ersichtlich - am Schalter sitzt eine grießgrämig
dreinschauenade Mittfünfzigerin, die man scheinbar für den Morgen
zwangsverpflichtet hat. Ihr Mehrwert entspricht ungefähr dem der aktuellen
digitalen Anzeigetafeln. Als ich sie frage, ob mein Zug in einer Stunde vom Hbf
oder Esslingen abfährt, teilt sie mir in knappen Hauptsätzen mit, er fahre
voraussichtlich vom HBF. Danach erläutert sie mir, dass voraussichtlich
bedeute, es könne mit hoher Wahrscheinlichkeit so sein - aber auch nicht. Ich
beneide Sie um ihr Germanistikstudium; verzichte aber darauf, ihr für die kurz
angebundene Antwort zu danken.
An den Gleisen stehen wenige Züge - aber auch keine Hinweise darauf, ob und
wohin sie denn nun fahren. Ich steige in den nächstbesten ein - Hauptsache raus aus
Stuttgart. Ach ja, beim Einsteigen treibt mich der Schaffner zur Eile an, da man abfahren wolle. Nun, da haben wir etwas gemeinsam - das versuche
ich seit gestern Nachmittag.
Im Zug teilt mir der erste freundliche Mitarbeiter im Speisewagen mit, dass
der Zug nach Frankfurt fahre. Zur Ehrenrettung der Bahn muss man aber anmerken,
dass es sich um einen Zug der österreichischen Bundesbahn handelt und der
Speisewagenschaffner kein DB-Mitarbeitender ist.
In Richtung Frankfurt zu fahren, macht mir Hoffnung - am heutigen Tage
zuhause anzukommen. Es ist 07:40h und ich bestelle mir ein Bier.
Fazit:
Unglücke und Feuer sind unvermeidbar. Auch Zugverspätungen und Zugausfälle.
Allerdings sollte man erwarten, dass Fahrgäste dann nicht so im Regen stehen
gelassen werden. Durch ganz einfache Mittel hätte man Reisende informieren,
beruhigen und kanalisieren können. Auch ein wenig Empathie und Freundlichkeit
können schwierige Situationen entschärfen. Hier einige Vorschläge:
- Bereits am S-Bahnhof hätte man Reisende aktiv informieren können, dass
Sie, um die Fernverkehrszzüge zu erreichen, hier mit der S-Bahn nach Esslingen
weiterfahren müssen.
- Im Bahnhof hätten Mitarbeitende mit Megafon die Reisenden informieren
können. Auch die ausgefallene Technik hätte durch ein paar handgeschriebene
Hinweisschilder sinnvoll ergänzt werden können.
- Der DB Navigator hätte die Info auffälliger einblenden können und auch
Verspätungsmeldungen kamen spät an.
- An der Info hätte ein serviceorientierter Mitarbeiter mehr erreichen
können als die scheinbar zwangsverpflichte Gesichtsmumie, die wohl befürchtete,
dass sie zu Staub zerfällt, wenn sie Empathie zeigt oder anstatt überheblich
Deutschnachhilfe zu erteilen, einfach mal zugegeben hätte, dass sie keine Ahnung
hat.
09:00h
In Frankfurt schaffe ich es tatsächlich in einen ICE gen Hannover. Ich
hoffe, nach dem überstürzten Aufbruch am Morgen nun doch mal etwas zu Essen zu
bekommen, denn das Bier vor zwei Stunden, ist kein so toller Ersatz. Im
Speisewagen teilt man mir mit, dass die Küche ausfalle, da man in Stuttgart keine
Vorräte hat aufnehmen können...
Liebe Bahn, ich hoffe für alle Reisenden, dass ihr niemals eine größere
technische Krisen oder Katastrophen zu meistern habt als Schwelbrände in der
Oberleitung. Die letzten zwei Tage waren ein Trauerspiel...